Solidarität mit dem Drama der Eltern

Drama als Traumafolgestörung

Dieser Beitrag behandelt ein Thema, mit dem sicherlich nur einzelne Leser:Innen in Resonanz gehen werden. Vermutlich sind besonders solche betroffen, deren Eltern der Generation angehören, die im 2. Weltkrieg Kinder waren. Hast Du schon von Kriegskindern und Kriegsenkeln gehört und bist selbst möglicherweise Kriegsenkel:In? Dann weißt Du vielleicht auch um die transgenerationale Weitergabe unverarbeiteter Traumata. Kriegskinder geben sie über Marker auf den Genen weiter an ihre eigenen Kinder, also beispielsweise an Dich. Und Dir ist bekannt, dass Deine Eltern aufgrund ihrer unverarbeiteten Traumata seltsame Verhaltensweise an den Tag legen. Eventuell hast Du an emotionaler Unterversorgung gelitten. Auch das Drama kann eine Traumafolgestörung sein. Es ist gekennzeichnet durch einen hohen Erregungszustand, oft gekoppelt mit Gefühlen der Angst und Sorge, dass jederzeit etwas Schlimmes geschehen kann. Genauso war es ja auch in den auslösenden Gegebenheiten zu Kriegs- und Nachkriegszeiten: immer war da die Angst vor einer Katastrophe, die Angst vor dem Tod, Verlust naher Angehöriger, Verlust der Heimat, Verlust von Besitz, Nahrung, usw.. Und das geschah über einen längeren Zeitraum. Das Nervensystem war komplett überfordert und konnte sich auch nach der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht regenerieren. 

Der hohe Erregungszustand des Nervensystems blieb also bei vielen Menschen erhalten (dazu gibt es Erklärungen aus der Physiologie). Er zeigt sich dann in u.a. Verhaltensweisen, die von außen als Drama wahrgenommen werden. Das andere Extrem ist die Untererregung, also ein depressives Verhalten. Die Menschen schwanken zwischen diesen beiden Zuständen. Ich habe das jetzt nur ganz grob erklärt, denn es geht mir wieder darum, zum individuellen Nachspüren und -forschen anzuregen. Bei Interesse findest Du weiterführende Literatur zu den Themen Trauma und Nervensystem sowie Kriegskinder und Kriegsenkel.

Deine Erfahrungen mit dem Drama

Und jetzt zu Dir: kennst Du von einem Elternteil oder von beiden dieses Drama? Vielleicht übertriebene Sorge um Dich? Die Vermutung, dass immer der Worst Case eintreten könnte? Gespräche, in denen stets Negatives fokussiert wird? Wer alles gestorben ist, wem es schlecht geht und was weiß ich noch alles. Wie geht es Dir dabei und wie verhälst Du Dich? Kannst Du es einfach an Dir abgleiten lassen? Setzt Du dem verbal ein Stoppschild entgegen? Oder duldest Du es und spürst dabei Wut, Trauer und Hilflosigkeit, versuchst jedoch nach außen ganz ruhig zu erscheinen? Letzteres kennzeichnet für mich die Solidarität mit dem Drama der Eltern. Du warst an ihr Verhalten gewöhnt, kanntest es nicht anders und hast es lange Zeit für richtig gehalten. So konntest Du dich mit den Eltern identifizieren und die Bindung (vermeintlich) festigen. Deine "negativen" Gefühle hast Du unterdrückt und für falsch gehalten. Doch jetzt brechen sie sich Bahn.

Warum dulde ich das Drama?

Fragst Du Dich zum jetzigen Zeitpunkt, warum Du das Drama duldest und darauf eingehst? Es gibt verschiedene Erklärungen, die wahrscheinlich alle eine Rolle spielen. Schau mal, womit Du in Resonanz gehst:

1. Wenn ich meine Gefühle und meinen Widerwillen gegen solche Gesprächsinhalte erkläre, werde ich sowieso nicht verstanden.

2. Meine Erklärungen und meine Weigerung werden eine Kränkung verursachen.

3. Meine Eltern haben so viel mitgemacht und so viel gegeben dass ich jetzt die Pflicht habe, mir das anzuhören.

4. Das ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit einer Gesprächsgestaltung.

5. Wenn meine Eltern so schlecht drauf sind ist es meine Pflicht, sie mit meiner Ruhe zu beruhigen.

6. Es sind schließlich meine Eltern und wenn sie nur so mit mir kommunizieren können ist das besser als nichts

7. Ich fühle mich schuldig, dass sie so viel mitgemacht haben und es mir gut geht (wirklich?).

8. Wenn ich meine wahren Gefühle dazu zeige, überfordere ich meine Eltern.

Was fühle ich?

Hast Du dich wieder gefunden in diesen Sätzen? Vielleicht ist es Dir auch zum ersten Mal bewusst geworden, welche davon Dich aushalten lassen.  Spüre in Dich hinein, was Du wirklich fühlst in diesen Situationen. Ist es die bereits erwähnte Wut und Hilflosigkeit? Trauer? Mitleid und/oder Mitgefühl mit den Eltern? Kannst Du Deine Gefühle auseinander halten oder ist da einfach ein wirres Knäul in Dir?

Und jetzt frage Dich, was Du am liebsten tun würdest in einer solchen Situation. Womit würdest Du dich wohl fühlen, zu Dir selber stehen? Kannst Du diese Frage nicht beantworten, weil auf jeden Impuls wieder ein unangenehmes Gefühl hochsteigt wenn Du Dir die Situation vorstellst? Vielleicht fühlst Du jetzt Dir selbst gegenüber Wut und Hilflosigkeit. Eigentlich möchtest Du gerne gut für Dich sorgen, aber gleichzeitig freundlich mit Deinen Eltern umgehen. Ich wage jetzt mal die Behauptung: in diesem Gefühlschaos geht das einfach nicht!!! Das wäre emotional gesehen gewissermaßen eine eierlegende Wollmilchsau. 

Wie kann ich damit umgehen?

Was kannst Du tun? Zunächst einmal: sei liebevoll mit Dir selbst und Deinem inneren Chaos. Auch Du als Kind traumatisierter Eltern hast Schlimmes erlebt in der emotionalen Unterversorgung. Im Umgang mit diesen Eltern, deren verletze Anteile noch in der Kindheit stecken geblieben sind und dabei möglicherweise Dich zur ihrer Versorgung genötigt haben. Du wurdest ungewollt emotional missbraucht! Wichtig ist, dass Du Dir Hilfe holst wenn Du leidest. Von Therapeuten, die sich mit Bindungstrauma auskennen und ergänzend auch gerne von mir. 

Mach Dir außerdem klar, dass Deine Eltern eine große innere Stärke mitbringen, sonst hätten sie das Ganze nicht überlebt. Erlaube Dir deshalb, spielerisch mit der Situation umzugehen, neue Verhaltensweisen auszuprobieren! Erkunde dann Deine Gefühle dabei!  Es geht darum, dass Du in Deine innere Stärke kommst, die Freude am Leben wieder spüren kannst. Du bist der wichtigste Mensch in Deinem Leben! Versuche doch mal, mit humorvoller Übertreibung auf das Drama zu reagieren! Oder mit einer paradoxen Intervention. Wenn z.B. erzählt wird, wer alles wieder gestorben ist. Frage: und wer wurde alles geboren? Wenn Deine Eltern ihre große Sorge um jemanden oder etwas ausdrücken. Frage: wem hilft das? 

Dieser Umgang mit dem Drama ist eine Art 1.-Hilfe-Maßnahme. Es klingt zynisch, weil das Mitgefühl mit Deinen Eltern dabei fehlt. Aber hier geht es um Dich! Vielleicht kannst Du bei diesen Entgegnungen mehr Freiheit in Dir spüren. Eine Ausweitung und nicht mehr die Enge, mit der Du alles stillschweigend erduldet hast. Du eroberst Dir ein Stück Selbstermächtigung und Selbstverantwortung zurück. Deine Eltern kannst Du nicht retten, sie sind für sich selbst verantwortlich. Lasse diese Absicht endlich los. Die Solidarität mit dem Drama hilft ihnen nicht, kann es möglicherweise sogar verstärken. Du bestätigst mit Deiner Duldung immer wieder die Richtigkeit ihres Verhaltens.  

Blick aus der Seelenebene

Lass uns aus der Seelenebene einen Blick auf das Ganze werden. Nach meiner Überzeugung sucht sich der zu inkarnierende Teil der Seele vorab das Leben hier aus, um bestimmte Erfahrungen zu machen. Dabei sind einige Eckdaten festgelegt wie z.B. der Ort, an dem man geboren wird, die Eltern sowie gravierende Erlebnisse. Also sowohl Du als auch Deine Eltern haben sich als Seele in voller Verantwortung diese Erfahrungen ausgesucht. Was bedeutet das? Vielleicht kannst Du bei dieser Vorstellung eine große Achtung und Respekt für Dich und Deine Eltern spüren. Ihr hättet Euch auch entschließen können, das Leben vorzeitig zu beenden. Doch Ihr habt weiter gemacht, Euer Bestes gegeben. Das gilt es zu ehren und wertzuschätzen. Ich empfinde es so, dass diese Überzeugung Deinen Eltern und Dir Eure Würde zurück gibt. Ihr seid nicht kleine, hilflose Wesen, sondern mutige Seelen, die sich der Erfahrung gestellt haben und ihren menschlichen Körper und Geist dabei unterstützen, die Inkarnation zu leben. 

Fühlst Du mit dieser Vorstellung, wie Du in Deine Größe wächst und inneren Frieden findest? Das wünsche ich Dir von Herzen.

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